Architectural stories - Rätselhafte Erzählungen
Es war einmal, vor den ewigen Sorgen des Erwachsenendaseins über die Miete, die Kindererziehung, den Auslandsschulden, das Magengeschwür und den anfänglichen Falten, wo alles magisch war: Die alte Eiche verwandelte sich in einen Zwerg, im Keller hausten kinderfressende Monster und die alten, verfallenen Reste eines Ziegenstalles auf dem Feld, draußen vor der Hecke, war die Ruine einer mächtigen Burg, nunmehr bewohnt von wunderlichen, unterirdischen Wesen.
Es ist diese verschwundene Phantasiewelt, an die man denkt, wenn man Stefanie Woscheks Bilderserie „Architektonische Erzählungen“ betrachtet. Auf den ersten Blick ist hier die Rede von netten, naturalistischen Bildern von Mühlen, Schlössern, Aquadukten, Kirchen und Leuchttürmen, aber bei näherem Hinschauen wird man eines Besseren belehrt. Will man mit etwas vergleichen, sind Giorgio de Chiricos metaphysische Malereien von menschenleeren Plätzen und Städten mit wundersamen, beunruhigenden Licht- und Schatteneffekten an naheliegendsten. Auf gleiche Weise sind Stefanie Woscheks Gebäudestrukturen niemals ganz eben und rationell. Die Perspektive kippt, die Mauern sind schief, Details reissen sich los, die Farben haben etwas Übernatürliches und Rätselhaftes. Die umgebende Landschaft richtet sich auch nicht auf naturalistische Weise nach den Gebäuden. Rein kompositorisch besteht sie nur aus graubraunen oder gelblichen Streifen Erde, streng getrennt vom Himmel in dunkelblauen Nuancen.
Obwohl die Bilder, mit einer winzigen Ausnahme, von Menschen befreit sind, enthalten sie trotzdem viele Geschichten. Geschichten, von denen man einen Eindruck durch den Titel bekommt, es aber beim Betrachter liegt, selbst daran weiterzudichten. Trotzdem ist es sicher nicht ganz falsch, festzustellen, dass Öffnungen in Form von Türen, Fenstern, Toren u.ä. eine große Rolle spielen. In allen Malereien findet man daher eine oder mehrere Öffnungen in den sonst so soliden Baumassen. Öffnungen, die außer ihrer rein praktischen Funktion auch eine symbolische Bedeutung haben können, wie Fenster zu einer anderen Welt, in der wundersame Dinge passieren: Leitern ragen an die oberen Etagen oder einfach in den Himmelsraum, die Gebäudeschatten nehmen Formen von wunderlichen Wesen an, mystische, gespenstische Lichteinfälle treffen auf die Szene und die Dimensionen der Objekte werden von unten nach oben gedreht. Mit anderen Worten, wir sind in der magischen Welt der Phantasie gelandet, hinter den prosaischen Oberflächen äusserlicher Phänomene – und das in einem solchen Umfang, dass selbst der nüchternste kommunale Wasserturm, die langweiligste Hausfassade und die anspruchloseste Mauer sich vor unseren Augen in Fabeln aus „1001 Nacht“, die „Arthur-Legende“, „Saxo Grammaticus“ oder Volksmärchen aus aller Welt verwandelt.
Mit den „Architektonischen Erzählungen“ ist Stefanie Woschek eine Form der erzählerischen Malerei gelungen, die nicht vor Feen, Zwergen und Meerhexen überquillt, sondern einen fruchtbaren Boden für das aktive und fabulierende Mitdichten des Betrachters schafft.
(Tom Jörgensen, Redakteur der Zeitschrift „Kunstavisen“, Magister der Kunstgeschichte.)
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